Nach dem Kapitel “Die dritte Missionsreise des Apostel Paulus” gibt es heute das 11. Kapitel aus dem Buch “Geschichte der Kirche Christi” von DDr. Johannes Schuck aus dem Jahr 1938 (Echter Verlag):
Der Seher Agabus behielt recht. Ob der heilige Paulus aber alles ahnte, was seiner in Jerusalem wartete?
Eine Aufregung drängte die andere, keinen Augenblick war er seines Lebens sicher. Hatte man ihm heute die Ketten abgenommen, zückte man schon morgen den Dolch gegen ihn. Über diese Tage dürfen wir nicht flüchtig hinwegeilen: es waren Höhepunkte im Kampfe zwischen Judentum und Christentum und in dem Geschick dieses einen Mannes verdichteten sich die Kämpfe des ganzen Reiches Gottes. Es stand ja kein anderer Apostel so tief mitten in den großen Fragen der Urkirche wie der Völkerapostel.
Bei den Christen in Jerusalem löste die Ankunft des heiligen Paulus große Freude aus. Am Tag nach seinem Eintreffen begab er sich zu dem Apostel Jakobus, wo sich die Ältesten der Gemeinde versammelt hatten. Zuerst berichtete er da über die Erfolge seiner Mission unter den Heiden. Zwar herzlich froh darüber, konnten die Judenchristen in Jerusalem doch nicht die Besorgnis verbergen, es könnte zu einem Aufruhr gegen Paulus kommen, weil die Juden gehört hatten, daß Paulus die bekehrten Juden von dem mosaischen Gesetz freigehalten habe. Ja, sie wiesen darauf hin, daß in Jerusalem tausend Christen noch treu nach ihren alten jüdischen Gebräuchen lebten, und sie legten ihm nahe, in einem bestimmten damals gerade vorliegenden Fall sich öffentlich den jüdischen Gebräuchen zu unterwerfen. Paulus ging auf den Vorschlag ein, konnte aber damit die Gefahr nicht bannen; denn als ihn die Juden, die ihn von seinen Missionsreisen her kannten, erblickten, schlugen sie einen Höllenlärm, weil sie glaubten, er habe auch einen Heidenchristen in den Tempel geführt. Es entstand ein förmlicher Aufruhr; Paulus wurde ergriffen und sollte kurzerhand getötet werden.
Zum Glück erfuhr der Befehlshaber der römischen Besagung auf der Burg Antonia von den Unruhen; er kam mit einem Zug Soldaten gerade noch recht, um den schon mißhandelten Apostel den Händen der Juden zu entreißen. Freilich nahm er ihn gefangen, weil er nicht wußte, wen er vor sich hatte. Paulus konnte sich auch nicht verständlich machen; denn die Juden tobten und drängten so, daß die Soldaten, um den Apostel nicht in Stücke reißen zu lassen, ihn tragen mußten. Schon waren sie am Burgtor, als Paulus dem Obersten zurief: „Ist es mir erlaubt, mit dir zu reden?” Erstaunt fragte der Oberst, ob er denn griechisch verstehe, ob er nicht der Ägypter sei, der kürzlich den großen Aufruhr erregt habe. Paulus gab ihm Bescheid und erhielt auf seine Bitten hin sogar die Erlaubnis, zu den Juden zu sprechen.
Nun trat der Apostel vor, winkte mit der Hand und alles schwieg. Er begann in hebräischer Sprache zu reden; da wurde es noch stiller. Er berichtete, wie er aus dem Verfolger Christi, als den sie in Jerusalem ihn gekannt hatten, ein Jünger Christi geworden war. Bis zu dem Augenblick ließen sie ihn reden, da er sagte, Christus habe ihn zu den Heiden gesandt. Das Wort „Heiden” hören — und mit ihrer Ruhe war es vorbei; sie rasten förmlich und machten sich bereit, ihn zu steinigen. Der Oberst, der sich das Toben der Juden immer noch nicht erklären konnte und glaubte, den Apostel doch für einen Missetäter halten zu müssen, ließ ihn rasch in die Burg führen; dort wollte er, um ein Geständnis von ihm zu erzwingen, ihn geißeln und foltern lassen. Schon hatten die Soldaten ihn zur Geißelung angebunden, da fragte der Apostel den dabei stehenden Hauptmann, ob das denn erlaubt sei, einen römischen Bürger zu geißeln und dazu noch ohne Richterspruch. Daraufhin eilte der Hauptmann zum Obersten, der Oberst kam rasch herbei und fragte hastig den Apostel, ob er denn ein Römer sei. Paulus bejahte es. Erstaunt sagte der Oberst:
„Das römische Bürgerrecht? — Ich habe es mit viel Geld erworben.”
„Ich aber habe es schon von Geburt an”, erwiderte Paulus. Schnell wurde er losgebunden, von Geißeln keine Rede mehr; dem Oberst wurde es sogar bang, weil er ihn hatte binden lassen.
Er mußte aber immerhin wissen, was die Juden gegen ihn hatten und so ließ er ihn am folgenden Tag vor den Hohen Rat und die jüdischen Priester führen. Festen Blickes schaute Paulus sie an und sprach zu ihnen: „Männer, Brüder, ich bin mit gutem Gewissen vor Gott gewandelt bis auf den heutigen Tag.” Der Hohepriester aber konnte gar nicht warten; er wollte nichts mehr hören und befahl, dem Apostel auf den Mund zu schlagen.
„Gott wird dich schlagen”, erwiderte der Apostel, „du getünchte Wand! Du sollst mich nach dem Gesetz richten und lässt mich schlagen entgegen dem Gesetz.”
Damit spielte er auf die Gesetzesvorschrift an, daß ein Angeklagter vor seiner Bestrafung verhört werden mußte. Freilich wußte Paulus nicht, daß es der Hohepriester war und als man auf ihn einschrie, er lästere den Hohenpriester, sagte er, er habe es nicht gewußt, daß er der Hohepriester sei, er wisse wohl, daß im Gesetz des Moses heiße, den Obersten seines Volkes solle man nicht lästern. Aber richtig vorausgesagt hatte der Apostel dennoch; dieser Hohepriester wurde später ermordet.
Was aber sollte Paulus jetzt tun? — Doch er kannte seine Gegner. Ein Teil von ihnen gehörte zu den Pharisäern, der andere zu der Sekte der Sadduzäer. Beide Richtungen unterschieden sich durch ihre Meinung über die Auferstehung der Toten. Die Sadduzäer glaubten nicht an die Auferstehung, die Pharisäer hielten daran fest. Paulus erfaßte die Lage und rief: „Männer, Brüder! Ich bin ein Pharisäer, ein Sohn der Pharisäer, und wegen der Hoffnung auf die Auferstehung der Toten werde ich gerichtet (Apg 23, 6). Und schon war der Zeitpunkt da! Die Pharisäer für ihn, die Sadduzäer gegen ihn — ein Tumult, daß der Oberst fürchtete, Paulus werde noch zerrissen, und ihn rasch zurück auf die Burg führen ließ.
Damit war jedoch die Gefahr noch nicht überwunden. „Da es Tag geworden”, so berichtet die Apostelgeschichte, „rotteten sich einige Juden zusammen, verschworen sich unter Verwünschungen und erklärten, weder essen noch trinken zu wollen, bis sie Paulus getötet hätten. Sie gingen zu den Hohenpriestern und Ältesten und sprachen: „Lasst dem Obersten zu wissen tun, daß er ihn euch vorführe, als wollt ihr über ihn Genaueres in Erfahrung bringen; wir aber sind bereit, ehe er herbeikommt, ihn zu töten” (Apg 23, 12—15).
Von dieser Verschwörung gegen den Apostel erfuhr jedoch wir wissen nicht auf welchem Weg — der Sohn seiner Schwester, die, wie wir schon früher hörten, in Jerusalem wohnte. Der junge Mensch eilte auf die Burg und überbrachte dem Onkel, was er erlauscht hatte. Paulus rief einen Hauptmann an und ersuchte ihn, seinen Neffen zum Obersten zu führen. Der Oberst nahm den jungen Menschen beiseite, fragte ihn aus und erfuhr nun alles. Sofort rief er zwei Hauptleute und gab ihnen den Befehl: „Haltet zweihundert Soldaten bereit, daß sie nach Cäsarea ziehen, und siebzig Reiter und zweihundert Lanzenträger auf die dritte Stunde der Nacht. Haltet auch Lasttiere bereit, daß man den Paulus darauf setze und ihn wohlbewahrt zum Landpfleger Felix bringe” (Apg 23, 23f). Der Grund, warum er Paulus fortschaffen ließ, war die Furcht, die Juden möchten sich schließlich doch des Apostels mit Gewalt bemächtigen und ihn töten, wodurch er, der Oberst, leicht in den Verdacht kommen könne, als habe er sich von den Juden bestechen lassen und für Geld den Paulus seinen Feinden in die Hände gespielt. Während die Vorbereitungen zur Abreise getroffen wurden, schrieb der Oberst noch schnell einen Brief, der den Landpfleger Felix darüber unterrichten sollte, weswegen Paulus in Haft genommen wurde und jetzt ihm zur Aburteilung gebracht werde. Der Brief ist uns erhalten. Er lautete: „Claudius Lysias wünscht dem besten Landpfleger Felix Heil! Diesen Mann haben die Juden ergriffen und es war daran, daß sie ihn töteten; da kam ich mit Kriegsvolk herbei und rettete ihn, nachdem ich erfahren, daß er ein Römer ist. Und da ich die Ursache wissen wollte, weswegen sie ihn beschuldigten, führte ich ihn vor den Hohen Rat. Da fand ich, daß er wegen Streitfragen ihres Gesetzes angeklagt, aber keines Verbrechens schuldig sei, welches Tod oder Fesseln verdiente. Als mir nun angezeigt wurde, daß sie ihm heimlich nachstellen, habe ich ihn zu dir gesendet und die Ankläger beschieden, die Klage vor dir anzubringen. Lebe wohl!” (Apg 23, 26—30).
Wie hatte doch der Herr damals in Damaskus gesagt? Ich werde dem Saulus zeigen, wieviel er um meines Namens willen leiden muß. Was wird nun in Cäsarea mit ihm geschehen?
Fortsetzung folgt mit Kap. “Die Untersuchungshaft des heiligen Paulus und seine Berufung an den Kaiser“
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