Nach dem Kapitel “Die für die Kirche wertvollen Kräfte des römischen Wesens” folgt heute das dritte Kapitel aus dem Abschnitt „Die Kirche und die römische Staatsgewalt“ aus dem Buch “Geschichte der Kirche Christi” von DDr. Johannes Schuck aus dem Jahr 1938 (Echter Verlag):
Rom war nicht bloß Geist. Als der heilige Petrus von Rom aus seinen ersten Brief an die Christengemeinden in Kleinasien schrieb, schloß er ihn mit den Worten: „Es grüßt euch die mitauserwählte Gemeinde in Babylon (l Petr 5, 13). Babylon, hebräisch Babel, der Name für die Hauptstadt des babylonischen Reiches, ist in den Büchern des Neuen Testamentes die Bezeichnung für einen Sammelpunkt der Gottlosigkeit und Sittenlosigkeit. Rom war nun nicht bloß in den Augen des Apostels, Rom war in Wirklichkeit ein Babel. Das zeigte sich in den zu Rom weithin verbreiteten Lastern der Unzucht, der Unmäßigkeit und der durch diese beiden Laster verursachten Arbeitsscheu.
Einzelerscheinungen als Zeugen für die allgemeine Unzucht entziehen sich natürlich hier der Schilderung; aber auch wenn wir uns den Blick auf die abstoßenden Bilder aus den Niederungen Roms ersparen wollen, an drei Erscheinungen dürfen wir vorübergehen, weil gerade in diesen Erscheinungen die schlimmen Folgen der weitverbreiteten Unzucht deutlich zutage traten: es sind die Kinderscheu, die Ehescheu und der Tiefstand der Frau.
Familie und Frau sind ja allezeit und überall untrügliche Maßstäbe für den sittlichen Aufstieg und den Niedergang eines Volkes; denn geordnetes Familienleben und reines Frauenleben verlangen große Zucht. Nun gab es in der Geschichte Roms wohl eine Zeit, in der das geordnete Familienleben und eine reine Ehe noch die Regel bildeten. Ehescheidung waren in jener Zeit schwer zu erwirken und kamen nur selten vor. Zu Beginn der christlichen Zeitrechnung aber waren diese Tage längst vorbei; so lange vorbei, daß der Staat durch die Zerrüttung des Familien- und Ehelebens in seinen Grundlagen bereits erschüttert war und diese Erschütterung eine sehr ernste Sorge für die Staatsverwaltung bildete. Mit allen Mitteln suchte man den Zusammenbruch aufzuhalten: mit äußeren Vorteilen und Erleichterungen für Verheiratete, mit Strafen und Lasten für Eheflucht und Kinderscheu. Wie weit aber das Übel schon vorgeschritten war und wie schwer es hielt, das Unheil einzudämmen, das zeigte sich wohl am deutlichsten darin, daß Kaiser Augustus, als er durch die staatliche Gesetzgebung Wandel schaffen wollte, dreißig Jahre lang an seinen Gesetzen ändern und sie immer wieder mildern mußte, bis sie sch1ießlich einmal angenommen wurden. Zum Ziele führten sie keineswegs. Ebensowenig hatten die Maßnahmen Erfolg, durch welche die Ehescheidungen erschwert werden sollten. Die Auffassung der Ehe und damit das Eheband wurden vielmehr so locker daß im Jahre 65 nach Christus ein römischer Bürger schrieb: „Keine Frau schämt sich mehr des Scheidebriefs, nachdem mehrere hohe und vornehme Frauen ihre Jahre nicht mehr nach der Zahl der Konsuln, sondern der Ehemänner zählen und aus der Ehe treten, um zu heiraten, und in die Ehe treten, um sich scheiden zu lassen.” Wer solche und ähnliche zeitgenössische Berichte liest, gibt dem heiligen Petrus recht und sagt: Rom war Babel.
Fast ebenso widerlich und ekelhaft wie das Laster der Unzucht, daher auch ebensowenig in allen Einzelzügen zu schildern, war im späteren Rom das Laster der Unmäßigkeit in Speise und Trank. Es gab kein Land, das nicht mit seinen erlesensten Erzeugnissen die römischen Tafeln bedienen mußte; kein Meer, in dessen geheimnisvolle Tiefe nicht die Netze tauchten, um die seltensten Fische und Schaltiere an das Licht und auf den römischen Tisch zu bringen. Immer erfinderischer wurde man, um den Gaumen zu kitzeln: die Gänse wurden mit Feigen und Datteln gemästet, in Massen wurden die Pfauen für eine einzige Mahlzeit geschlachtet, damit aus ihren Zungen ein Ragout hergestellt werden konnte; das Fleisch erhielten die Sklaven. Kein Aufwand war zu groß, um die Mahlzeit der Vornehmen, die in ihrem Hauptteil gewöhnlich schon aus sieben Gängen bestand, bei besonderen Anlässen mit unfaßbarer Verschwendung auszugestalten. Zwei bekannte Römer, Cicero und Pompejus, besuchten einmal unvermutet den reichen Lukullus und wurden von ihm zu Tisch geladen. Sie baten ihn, ihretwegen keine Umstände zu machen und beobachteten auch nichts, was auf besondere Vorbereitung schließen ließ. Nur das Zimmer, in welchem gespeist werden sollte, bezeichnete Lukullus der Dienerschaft. Und siehe, die unvermutet eingetroffenen Gäste erhielten eine Mahlzeit, die nach unserem Geld ungefähr dreißigtausend Mark gekostet haben mochte. Es gab kein Mittel, das nicht versucht wurde, um die Mahlzeiten hinauszuziehen — kein Mittel bis zur künstlichen und ekelhaften Entleerung des Magens; kein Mittel, so unsinnig, daß es nicht versucht wurde, nur um die Mahlzeiten zu verteuern; Perlen wurden gelöst, um mitgetrunken zu werden — Rom war Babel.
Unzucht und Unmäßigkeit scheuen gewissenhafte Pflichterfüllung und anstrengende Arbeit. So kam es, daß in Rom zur Zeit, als es ein Babel war, nur die Sklaven arbeiteten. Auf dem Feld und bei den Herden, in den Werkstätten und in den Bergwerken, beim Bauen und bei der Unterhaltung der Bauten, im Haus und in den Amtsräumen — überall Sklaven. So viel Sklaven gab es in Rom, daß bei einem Antrag, den Sklaven einen eigenen Stadtteil einzuräumen, die Bürger erschrocken und ängstlich abwehrten; sie fürchteten die schlimmsten Unruhen und Aufstände wenn die Sklaven gewahr würden, wie verschwindend klein die Zahl der freien Bürger und wie unermeßlich groß ihre eigene Zahl sei. Zwischen der einen Seite und den Vornehmen und Begüterten auf Seite stand in Rom der große Haufe, der Pöbel. Das waren die Menschen, die von überall her und in immer steigender Zahl zugezogen waren und aus Arbeitsscheu und weil eine planmäßige und zwangsmäßige Arbeit fehlte, sich vom Staat ernähren und unterhalten ließen. Arbeit wurde ja als Schande betrachtet. Ungefähr fünfzig Jahre vor Christus war die Zahl derer, die vom Staat Getreide erhielten, auf dreihundertzwanzigtausend gewachsen. Der Feldherr Cäsar sah, wie und unmöglich ein solcher Zustand war, und griff ein. Er beschränkte die Zahl auf hundertfünfzigtausend; aber bereits unter Kaiser Augustus, also zur Zeit Jesu, lebten in Rom wieder zweihunderttausend Menschen, mithin der vierte Teil der Bevölkerung, auf Staatskosten. Gerade der Pöbel Roms galt für den gesunkensten und verworfensten des ganzen Erdkreises – Rom war Babel.
Woher das kam? Einmal schon daher, daß Rom der Mittelpunkt eines Weltreiches und damit auch ein Anziehungspunkt und ein Sammelpunkt den Unrat aus aller Welt wurde, Die römischen Legionen, die nach allen vier Himmelsrichtungen hinauszogen, kamen nicht zuchtvoller zurück; in ihrem Troß schlichen die Laster der Fremde, besonders des Morgenlandes, durch die Tore Roms. Menschen, die untertauchen wollten, Menschen, die sich ausleben wollten, kurz, der vielgestaltige Schmutz der Erde wurde von den Strömen des Verkehrs in das Meer der Großstadt geschoben.
Der tiefste Grund für die Sittenlosigkeit Roms lag in seiner religiösen Haltlosigkeit. Es war schon immer eine Schwäche im religiösen Leben der heidnischen Römer gewesen, daß ihr Gottesglaube nicht tief in das Gewissen griff. In ihrem Gewissen hatten sie sich eigentlich niemals von Göttern gebunden gefühlt und daher wurde auch schon in der alten Zeit eine Verfehlung nicht als persönliche Beleidigung der Gottheit empfunden. Immerhin war früher wenigstens noch der Glaube an eine Strafvergeltung lebendig, und schon der getreue Vollzug der üblichen religiösen Gebräuche vermochte einen, wenn auch nur allgemeinen und mittelbaren Einfluß auf das sittliche Leben auszuüben. In der späteren Zeit waren dagegen die gesamten religiösen Übungen ohne Kraft für das Leben; sie waren nur die Erfüllung äußerer staatlicher Verpflichtungen, wenig religiöse Hilfe und sittlichen Halt die Religion des heidnischen Rom dem Menschen bieten konnte, geht aus drei Erscheinungen hervor: aus der Entwicklung der Götterverehrung zur göttlichen Verehrung des Kaisers; aus der Vielzahl von Gottheiten, die in Rom verehrt wurden und deren Reihe sich stets durch die Gottheiten der eroberten Länder vermehrte, ohne daß der Staat, der nur auf der gleichzeitigen Verehrung der römischen Götter bestand, dagegen Einspruch erhob; schließlich und das am deutlichsten aus der Rolle, die der Aberglaube in Rom spielte. Der linke und der rechte Fuß, der Vogelflug und das über den Weg laufende Tier, das Anstoßen der Zehe und das Niesen, der Schrei der Tiere und die Tage der Gewitter, alle, auch die kleinsten Vorkommnisse in der Luft und auf der Erde, im stillen häuslichen Leben und auf der Straße hatten ihre Bedeutung. so daß der heidnische Schriftsteller Plinius feststellte, auf der ganzen Welt, an allen Orten und zu allen Stunden werde aus aller Mund im Gebet bloß der Zufall angerufen. Eine Welt, die sich nicht an den überweltlichen Gott und seine Vorsehung hält, fällt auch ohne ihr eigenes Zutun. Um wieviel leichter und wieviel tiefer mußte das unzüchtige, unmäßige und untätige Rom fallen! Was für ein Gegensatz zwischen der Christengemeinde, aus der die Glaubensboten auszogen, und der Welt, deren Pesthauch ihnen aus den Toren Roms entgegenschlug!
Arme Apostel! Wie wird es euch in diesem Babel ergehen!
Fortsetzung folgt mit dem Kap. “Der Aufenthalt und der Tod der Apostelfürsten in Rom“.
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