Das Vaterunser ist das zentrale Gebet der Christenheit. In der dritten Bitte – „Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf der Erde“ – steckt eine tiefe geistliche Wahrheit, die der Kirchenvater Johannes Cassianus (ca. 360–435) eindrucksvoll auslegt:

Die dritte Bitte der Kinder [im Vater unser] lautet: „Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf der Erde!“ Es kann keine größere Bitte geben, als zu wünschen, dass das Irdische dem Himmlischen gleich kommen möge. Denn was heißt es anderes, wenn man sagt: „Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf der Erde“, als: Alle Menschen sollen den Engeln ähnlich sein; und wie also der Wille Gottes von jenen im Himmel erfüllt wird, so sollen auch die, welche auf der Erde sind, nicht ihren, sondern ganz seinen Willen tun!

Das wird niemand von Herzen zu sagen vermögen, als allein jener, der glaubt, dass Gott alles – es mag nun gut oder schädlich scheinen – zu unserm Nutzen ordnet, und dass er für das Heil und Glück der Seinen mehr Aufmerksamkeit und Sorge hegt, als wir für uns selbst.

Aber man kann es auch noch anders verstehen. Der Wille Gottes ist das Heil aller, nach jenem Ausspruch des heiligen Paulus: „Er will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4). Von diesem Willen sagt auch der Prophet Jesaja, indem er Gott, den Vater sprechen lässt: „Alles, was ich will, führe ich aus“ (Jes 46,10). Wenn wir also sagen: „Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf der Erde“, dann bitten wir mit andern Worten: Wie die im Himmel, so sollen auch alle, die auf Erden leben, gerettet werden, durch die Erkenntnis deines namens, o Vater !

Über das Gebet, Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern, Buch IX,20 (Bibliothek der Kirchenväter, leicht angepasst)

„Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf der Erde“ – Was bedeutet diese Bitte für uns?

Diese Bitte hat zwei zentrale Bedeutungen:

1. Vertrauen in Gottes Plan

Cassianus betont, dass diese Bitte nur von jemandem wirklich aus dem Herzen kommen kann, der darauf vertraut, dass Gott alles – auch das, was uns vielleicht leidvoll oder unverständlich erscheint – zu unserem Besten führt. Das ist nicht immer einfach:

  • Warum gibt es Leid und Schwierigkeiten im Leben?
  • Warum verlaufen manche Dinge anders, als wir es uns wünschen?

Cassianus fordert uns auf, unser Vertrauen auf Gott zu setzen – so wie die Engel im Himmel, die seinen Willen vollkommen tun. Das bedeutet nicht, dass wir alles einfach hinnehmen müssen, sondern dass wir lernen, unsere eigenen Pläne und Erwartungen mit Gottes größerem Plan in Einklang zu bringen.

Ein Beispiel: Manchmal wollen wir bestimmte Dinge mit aller Kraft durchsetzen, sei es im persönlichen Leben oder in der Kirche. Doch nicht immer entspricht unser Wille dem, was Gott für uns vorgesehen hat. Die Frage ist: Sind wir bereit, Gottes Willen wirklich anzunehmen, selbst wenn er uns überrascht oder herausfordert?

2. Gottes Wille: Das Heil aller Menschen

Cassianus gibt der Bitte aber noch eine zweite, missionarische Bedeutung: Der Wille Gottes ist, dass alle Menschen gerettet werden (1 Tim 2,4). Wenn wir beten, dass Gottes Wille auch auf Erden geschehe, dann bitten wir darum, dass immer mehr Menschen zur Erkenntnis Gottes gelangen und den Weg des Heils finden.

Das bedeutet für uns konkret:

  • Unsere Kirche soll nicht nur ein Ort für diejenigen sein, die bereits glauben, sondern auch für die Suchenden.
  • Wir dürfen nicht nur für unser eigenes Heil beten, sondern auch aktiv dazu beitragen, dass andere Menschen Gott kennenlernen.
  • Evangelisation, Glaubensvermittlung und gelebte Gemeinschaft sind kein „Zusatz“, sondern Teil unseres christlichen Auftrags.

Diese Dimension der Bitte ist besonders wichtig für die Erneuerung der Kirche. Wenn wir möchten, dass unsere Gemeinde wächst und lebendig wird, dann ist es nicht genug, auf bessere Zeiten zu hoffen – wir müssen selbst handeln. Unser Gebet „Dein Wille geschehe“ muss zur Tat werden.

Fazit: Das Vaterunser als Herausforderung

Johannes Cassianus erinnert uns daran, dass das Vaterunser nicht nur ein Gebet ist, sondern eine Verpflichtung:

  • Es fordert uns auf, Gott in allem zu vertrauen, auch wenn wir seinen Plan nicht immer verstehen.
  • Es ruft uns dazu auf, am Heil der Menschen mitzuwirken und unseren Glauben nicht für uns zu behalten.

Die Kirche soll ein Ort sein, an dem dieser Wille Gottes sichtbar wird – eine Gemeinschaft, die Menschen zu ihm führt und sie in seinem Namen zusammenbringt. Wenn wir beten „Dein Wille geschehe“, dann bitten wir nicht nur um Veränderung – wir erklären uns auch bereit, selbst Teil dieser Veränderung zu sein.

Hinweis: Text wurde mithilfe einer KI erstellt, aber inhaltlich geprüft und entsprechend überarbeitet.