Vor Kurzem hatte ich den Beitrag “<a title="Und es gibt doch noch gute Predigten: Robert Spaemann über Gen 1” href=”http://sschweizer.wordpress.com/2013/07/07/und-es-gibt-doch-noch-gute-predigten-robert-spaemann-uber-gen-1/” rel=”bookmark”>Und es gibt doch noch gute Predigten: Robert Spaemann über Gen 1” mit einer kurzen Zusammenfassung von der Predigt von Robert Spaemann geschrieben.
Hier nun eine ausführlichere Version von fj1422, die er mir gerne zur Verfügung gestellt hat:
Gottesdienst in der Friedenskirche mit Prof. Robert Spaemann am 7. Juli 2013
Lieder/Psalmgebet: EG Nr. 449,1-4; Psalm 104; EG Nr. 504; EG Nr. 510; EG Nr. 503,1-6-3.8+13; EG Nr. 421
Predigt von Prof. Spaemann zu Genesis 1,1-31
Gedicht von Gottfried Benn (1886-1956)
Ich habe Menschen getroffen, die wenn man sie nach ihrem Namen fragte, schüchtern – als ob sie gar nicht beanspruchen könnten, auch noch eine Benennung zu haben – »Fräulein Christian« antworteten und dann: »wie der Vorname«, sie wollten einem die Erfassung erleichtern, kein schwieriger Name wie »Popiol« oder »Babendererde« – »wie der Vorname« – bitte, belasten Sie Ihr Erinnerungsvermögen nicht!
Ich habe Menschen getroffen, die mit Eltern und vier Geschwistern in einer Stube aufwuchsen, nachts, die Finger in den Ohren, am Küchentisch lernten, hochkamen, äußerlich schön und ladylike wie Gräfinnen – und innerlich sanft und fleißig wie Nausikaa die reine Stirn der Engel trugen.
Ich habe mich oft gefragt und keine Antwort gefunden, woher das Sanfte und das Gute kommt, weiß es auch heute nicht und muss nun gehen. (Quelle: Turmsegler)
Woher das Sanfte und Gute kommt – eine Antwort auf diese Frage gibt uns die Bibel in Genesis 1,1: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Woher das Böse kommt, würden wir Heute fragen. Das Böse als Teil der Evolution, wäre die bevorzugte Erklärung. Doch das Gute lässt uns Menschen dankbar und froh sein. Am Anfang war das Wort, so beginnt Johannes sein Evangelium. Was aber heißt am Anfang? Der Urknall? Auch dem Urknall geht Etwas voraus – es kann nicht Nichts gewesen sein. Der Urknall, so es ihn tatsächlich gab, wäre dann der Beginn dieser Erde und des Lebens, welches auf ihr entstand. Aber nicht der Anfang als Grund und Wirklichkeit in sich. Die Frage ist: Gibt es einen Grund? Wissenschaftler erforschen die Abläufe in der Natur. Die Erkenntnisse der Neuzeit ermöglichen dem Menschen, alle Ereignisse miteinander zu verknüpfen in den Gesetzen von Ursache und Wirkung. Wer aber ist der Regisseur, der Grund? Unsere Wirklichkeit, die wir beobachten und ergründen können, ist sie die eigentliche Wirklichkeit? Nein. Die eigentliche Wirklichkeit, der Grund unserer Existenz und der ganzen, tiefen Lebenswirklichkeit, ist Gott. Was aber folgt daraus? Wo ist dann der Mensch mit seiner Freiheit, wenn das ganze Leben schon von Gott gemacht ist, so wie ein Film vom Regisseur? Der Mensch kann Entscheidungen treffen. Indem die Menschen handeln, verwirklichen sie einen göttlichen Plan. Freilich kann der Mensch falsche Entscheidungen treffen, können Menschen sich in einer nicht richtigen Weise verhalten. Doch es gibt dennoch einen Plan, in den der Mensch involviert ist. Und wenn Gott allwissend ist, so weiß ER von Anfang an um die Irrwege und den Verrat des Menschen und hat es auch bereits in Seinen Plan miteingebaut. Jesus sagt in Matthäus 26,24: Der Menschensohn geht dahin, wie von ihm geschrieben steht – er muss verraten werden. Jesus hat hier die ganze Heilsgeschichte vor Augen. Gottes Plan gelingt immer, auch wenn das Böse eine Zeit lang die Macht zu haben scheint. Wenn wir nach dem Grund der Ereignisse in der Welt fragen, so sind wir zunächst einmal an die Naturgesetze verwiesen. Doch die Naturgesetze sind selbst nicht voraussetzungslos, sie unterliegen Bestimmtheiten. Die Feinabstimmung der Abläufe in der Natur sind sogar so komplex, differenziert, tiefsinnig und fein, dass es im Grunde genommen ganz unwahrscheinlich ist, dass die Natur uns Menschen, das Leben in der Gestalt wie wir es Heute haben (dürfen), hätte hervorbringen können. So gibt es vielfältige Spuren Gottes in der Welt, eben in der Feinabstimmung der Abläufe dieser Welt, in den Geschehnissen der Natur, auch in dem Sanften und Guten, von dem wir nicht sagen können, woher es kommt. Das Sanfte und Gute des Geistes, von dem berührt, wir fasziniert sind. Dass Neues, Subjektivität, Denken sowie Geist existieren bzw. sich entwickeln konnten, kann jedenfalls nicht mit dem bloßen Interesse der Evolution, also des Willens zum Überleben, erklärt werden. Es gibt Sprünge in der Entwicklung des Lebens, wodurch Neues entsteht, welches sich aus dem Alten und Bisherigen nicht wirklich herleiten lässt. Doch die Gründe, die uns veranlassen von Gott zu reden, sind es zwingende Gründe? Dass hinter einer vernünftigen Struktur (und Ordnung des Lebens) auch eine (große) Vernunft stehen muss, scheint eigentlich einleuchtend. Wenn wir vorhin sagten, dass es im Grunde genommen ganz unwahrscheinlich ist, dass die Natur uns Menschen hätte hervorbringen können, so ist diese Tatsache, welche in der Komplexität des geschaffenen Lebens liegt, schon ein Argument für die These von der Existenz eines Schöpfers allen Lebens. Der Mensch aber tut sich schwer damit, tut sich schwer mit der Forderung, an einen Gott zu glauben, der tatsächlich alles Leben schuf. Der Mensch glaubt schließlich dann lieber das Unwahrscheinlichere, glaubt an den Zufall, den Zufall der Evolution. Freilich gibt es auch gewichtige Einwände, die nicht unbedingt für einen allwissenden Schöpfer sprechen, der das Leben nach einem vollkommenen Gesetz Seiner Güte (Genesis 1,31) geschaffen hat. Auf der einen Seite erkennen wir eine unglaubliche Kostbarkeit, Schönheit und Erhabenheit in der Natur, eine bestehende Ordnung in der ganzen Schöpfung. Wir sind fasziniert von der Vielfalt des Lebens, von hohen Begabungen, vom einzigartigen Reichtum des Lebens. Dann aber sehen wir auch die vielen Verunstaltungen des Lebens, die auf das Böse, auf Leid, auf die Ungerechtigkeit in dieser einen Schöpfung Gottes weisen. Gott schafft am ersten Tag das Licht. Gott greift ordnend ein in das anfängliche Tohuwabohu und erschafft eine Wirklichkeit, in welcher Leben gedeiht. Das anfängliche Chaos ist auch Heute überall präsent, auch in uns selbst, in der Tiefe unserer Seele. Es werde Licht! (Genesis 1,3) Hier wird zum ersten Mal eine Struktur sichtbar. Es wird Etwas sichtbar, das vorher fehlte. Alles bekommt eine gewisse Ordnung, die bis Heute trotz der Eingriffe des Menschen Bestand hat. Die Wirklichkeit besteht aus Dingen, die Distanz zueinander haben, die einander wahrnehmen. Lebendigkeit und Ordnung gehören zusammen. Der Geist Gottes ist zu Beginn da, und das Chaos ist da. Es werde Licht! Diese Erfahrung, in welcher ein Grundhandeln Gottes deutlich wird, wiederholt sich seit dem Beginn der Schöpfung. Viele Menschen, die in Dunkelheiten des Lebens gefangen waren, wurden erleuchtet und erhellt von einer anderen Wirklichkeit (Johannes 1,4.9). Helen Keller, taubstumm und blind, in einer dunklen und finsteren Welt lebend (analog Genesis 1,2 – es war leer und finster auf der Tiefe), durfte plötzlich erkennen, dass es eine Welt gibt, die verstehbar ist, verstehbar, offen und zugänglich im Erkennen der Liebe. Plötzlich war es licht in ihr, im Aufgehen des Verstehens, im Aufgehen der göttlichen Liebe, der Wahrheit der Liebe. Warum aber dann das Böse, die vielen Verzerrungen, die Fixierung auf die Verunstaltungen…? Paulus ist hier sehr direkt und sagt in Römer 1,20-22: Aus der geschaffenen Welt können die Menschen Gott erkennen. Wenn sie es nicht wollen, dann deshalb, weil sie Gott nicht danken wollen. Sie wenden sich dann lieber dem Nichtigen zu, und ihr Herz bleibt finster und unverständig. Danken können für das Gute, für das Leben, welches uns geschenkt ist, gehört wohl zu den anthropologischen Grundvoraussetzungen einer sinnvollen, versöhnten menschlichen Existenz. Auch das Klagen über eine Welt, die verunstaltet und gestört ist, gehört dazu, wie uns das Buch Hiob und auch die Psalmen zeigen. Wir wollen das Gesagte in ein Bild fassen, welches den Glauben, unsere christliche Hoffnung, enthält. Es gibt einen Teppich, an dem wir mitknüpfen an der Unterseite. Wir sehen Heute nur die Unterseite und hoffen aber, irgendwann / eines Tages die Oberseite zu sehen. Das ist die Perspektive der Hoffnung, welche kommt aus dem Glauben. Paulus beschreibt es in 1. Korinther 13,9f.12f. folgendermaßen: Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unsere Prophetie ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. Wir sehen jetzt nur undeutlich wie in einem trüben Spiegel; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die Größte unter ihnen.
Die Vernunft ist Heute in eine Verzweiflung geraten, weil wir nicht mehr daran glauben (können), dass es eine Wahrheit gibt. Gott aber gab dem Menschen die Möglichkeit, Wahrheit zu erkennen, denn es gibt die Wahrheitsfähigkeit der Vernunft. Menschen zu allen Zeiten suchen Antworten auf die Ungerechtigkeiten dieser Welt. Jesus hat Seinen Jüngern versprochen, dass sie die Wahrheit erkennen werden, wenn sie bei dem bleiben, was ER ihnen gesagt hat (Johannes 8,31f.). Die Krise der Menschheit ist eine Krise auch der Vernunft. Die Aufklärung bricht zusammen, wenn dem menschlichen Geist der Glaube an die Wahrheit verlorengegangen ist. Der Glaube aber lebt vom Zeugnis. Es gibt schon immer Zeugnisse des Glaubens mitten in den Schrecken dieser Welt, mitten in den Zerwürfnissen dieser argen Welt. Wir wollen zum Schluß Worte hören, die ein zutiefst Leidender und dennoch stets Hoffender im Warschauer Ghetto aufgeschrieben hat für die Nachwelt, für Menschen nach seinem eigenen Sterben. Die Worte sind eine Aufforderung und geben Zeugnis davon, die Spur der Wahrheit auf der Stirn zu tragen.
In den letzten Stunden seines Lebens hat sie ein Jude aufgeschrieben, dem kurz zuvor dort im Ghetto seine Frau und seine Kinder umgebracht worden waren: Gott von Israel – Du hast alles getan, damit ich nicht an Dich glaube. Solltest Du meinen, es wird Dir gelingen, mich von meinem Weg abzubringen, so sage ich Dir, mein Gott und Gott meiner Väter: es wird Dir nicht gelingen. Du kannst mich zu Tode peinigen, ich werde immer an Dich glauben. Ich werde Dich immer liebhaben – Dir selbst zum Trotz. Mein Leiden ist bitter, doch bin ich nicht enttäuscht. Besiegt als ein Geschlagener, bin ich doch nicht versklavt, sondern ich habe Frieden. Ich bin erniedrigt und elend, und doch versöhnt. Du, mein Gott, hast alles getan, dass ich an Dir irre werde. Doch ich sterbe gerade als Einer, der unheilbar ist im Glauben an Dich, als Einer, der Dich immer liebhaben wird – Dir zum Trotz. Ich sterbe, genau wie ich gelebt habe, im felsenfesten Glauben an Dich. Schma Isroel! – Höre Israel! Der HERR, unser Gott, ist Einer. In Deine Hände befehle ich meinen Geist; Du hast mich erlöst, HERR, Du treuer Gott. Amen.
Nachtrag des Autors – Impuls
Die Gegenmächte des Lebens – vor 2000 Jahren ging Jesus den Weg bis ans Kreuz. Was ist aus der Hoffnung, aus der Auferstehungsfreude geworden? Fällt es vielleicht Heute auch Gott schwer, mit den unzähligen Zerwürfnissen und Widersprüchen dieser Welt umzugehen? Sechzig Millionen Christen leben in Deutschland – wir müssten eigentlich ein christliches Land sein. Doch wir sind das Gegenteil davon geworden.
Klar aber ist auch, wenn diese Welt den Weg der steten Höherentwicklung hin zur Vervollkommnung des Lebens des Menschen geführt wird, dass dann viele Menschen auf diesem Weg zurückbleiben, straucheln werden, nicht mehr werden folgen können. Alle diejenigen, denen es in ihrem Leben an Schutz, Bewahrung vor Bösem, guten, lebensfördernden Erfahrungen, heilen Bindungen und Beziehungen usw. fehlte, haben keine wirkliche Chance mehr, auf den fahrenden Expresszug aufzuspringen. Für sie gibt es keinen Platz mehr, der ihnen Anerkennung, Liebe und Wertschätzung – den Wert ihres kleinen Lebens und Menschseins – geben bzw. zeigen und erweisen könnte. Unversehrtes Leben ist kostbar und kann nicht einfach wieder hergestellt werden, ist es einmal in den Abgrund verkehrter, falscher Wege, in den Abgrund des Versagens und des schuldhaften Lebensscheiterns gerutscht. (fj1422)
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